TEXT

Hans Henrik Jabobsen: Glimrende udstilling i Galleri NB,
Viborg Stifts Folksblad, 23.12.2017

Lars Svanholm: Elegante rum og et aedegilde i keramik,
Jytlands-Posten, 17.12.2017

Schwankende Perspektiven, Nordfriesisches Tageblatt, 22.11.2014

Berliner Tagesspiegel, Mehr Berlin, January 26, 2013

Ein Bericht über die Künstlerin Sabine Beyerle im DeutschlandradioKultur im Radiofeuilleton: Profil: „Künstlerisches Multitasking“ von Christiane Gerischer, 26.2.2007

Märkische Allgemeine, 10.05.2011 by Martin Stefke

AUSSTELLUNG: Auf schwankendem Grund

Die Malerin Sabine Beyerle zeigt in der Kunsthalle Vierseithof ihre Bilder

LUCKENWALDE – Der erste Eindruck ist ein Flimmern, ein Flirren, zu dem sich ein Schwanken gesellt. „Stimmt hier etwas mit meinen Augen nicht?“ kann man sich dieser Tage fragen, wenn man die Kunsthalle Vierseithof in Luckenwalde betritt. Tatsächlich denkt man in Sabine Beyerles Ausstellung „Woanders zu Hause“ zuerst einmal an einen Defekt der Sehorgane. Der eigenen. Kurz darauf jedoch auch an die Möglichkeit, tektonische Verwerfungen der guten, alten Erdkruste könnten nun schon in der Mark zu spüren sein.

Erdbeben in Brandenburg? – Ja, die einstige Maschinenhalle scheint wahrhaftig zu vibrieren. Es ist, als wackelten die Muster des Hallenbodens, als tanzten sie mit den Ornamenten und Motiven in Beyerles Bildern. Die Fluchten und Flächen verschieben sich. Die Perspektive läuft aus den Achsen. Senkrechte Linien fallen. Wände kippen. Horizonte brechen.

Sabine Beyerle, 1975 in der Nähe von Stuttgart, im württembergischen Leonberg, geboren, Absolventin der Universität der Künste Berlin, Malerin, Bühnenbildnerin und Anglistin, hebt die Kunsthalle aus den Angeln. Zum einen, weil sie immer wieder Areale mit kräftigen Mustern in die Zentren ihrer Arbeiten setzt – so die gefliesten Fußböden einer Kirche in der brasilianischen Küstenstadt Camamu und der Treppe des ebenfalls in Brasilien stehenden Universitätsgebäudes von Dom Bosco. Zum anderen, weil sie in Luckenwalde ausgerechnet das Ornament des Bodens, auf dem die Betrachter ihrer Ölgemälde stehen, ja die ganze Ausstellungshalle als Bildmotiv nutzt. Auf einer 1,60 mal zwei Meter messenden Leinwand mit dem Titel „Luckenwalde“ sehen wir den Raum, in dem wir uns befinden. Sicherheit schafft das nicht: Knicke und Brüche durchziehen das Bild. Unser Sichtfeld verschiebt sich, wirkt weiter und doch zugleich verengt. Ein verwirrender Anblick.

In nahezu allen der großformatigen Werke – kleinere Arbeiten zeigen meist Motive aus Afrika: unspektakuläre Plätze und Landschaften, wie eine Fleischerei in Namibia, einen Plattenbau auf Sansibar, eine Bahnhofshalle in Sambia – arbeitet Beyerle nach dieser Methode. So auch in „São Joãn del Rei“. Den Innenhof mit den stürzenden Zäunen, so denkt man laut, möchte man lieber nicht betreten. „ Ich schon“, erwidert die Künstlerin und bekennt ihre Faszination für derartige Räume. Nicht so glatt und perfekt wie in Deutschland sei es in dieser Welt, sagt sie und spricht vom Reiz des „Woanders“, von der „Schönheit des Spröden“, dem improvisierten Leben, den wackligen Tischen und Ständen, dem mit naivem Gestus an ein Häuschen gemalten Schriftzug „Allo“, einer Telefonwerbung auf Afrikanisch.

Auf Reisen durch Europa, den schwarzen Kontinent und in Brasilien hat Sabine Beyerle diese Motive gefunden. Sie hat sie „gesammelt“, mit dem Fotoapparat in Serien festgehalten. Eben diese Bilder „setzt“ die Künstlerin im Atelier zusammen. Doch sie glättet nichts. Was durch Überblendungen und Perspektivwechsel mehrfach zu sehen ist, wird mit all den Brüchen und Verschiebungen gemalt. Genau das erweckt den Eindruck, als ob der Boden schwanke.

In Luckenwalde hat Sabine Beyerle einen idealen Ausstellungsort gefunden. Sie sagt es selbst. Als sie die Kunsthalle zum ersten Mal sah, habe sie gedacht, hier müsse sie ausstellen, weil „dieser Ort mit seinem Fliesenboden aussieht wie meine Bilder“. Jetzt tut sie es. Bis Mitte Juli ist zu erleben, ob der Boden der Kunsthalle Vierseithof in Luckenwalde tatsächlich schwankt.  (Von Martin Stefke)

„Woanders zu Hause“. Kunsthalle Vierseithof, Am Herrenhaus, Luckenwalde. Do-Mo 14-19 Uhr. Bis 17. Juli. Infos unter 0171/820 56 49

„Instabile Räume im Musterhaus“ von Sylvia Hüggelmeier,
Stuttgarter Zeitung, 22.November 2011

Aus dem Katalog: Sabine Beyerle „Temporäre Heimat“, anlässlich der Ausstellung in der Kunstallianz1 Berlin vom 18. Januar 2007 bis 18. März 2007

Herausgeber: Allianz Versicherungs-AG, Berlin, An den Treptowers 3, 12435 Berlin

von Anne Mueller von der Hagen

»El Jadida1« (2006): Magisch leuchtet die gelbe Mähne eines Ponys vor tiefschwarzem Himmel. Starr steht es in der Bildmitte ohne Beziehung zu den umgebenden Menschen. Im unnatürlichen Licht der Szene werden deren Körper zu Farberscheinungen mit festgefrorenen Bewegungen. – Eine nächtliche Szene im Nichts, ein Filmstill farblich übersteigert ins Irreale? Malerei von Sabine Beyerle.

»Temporäre Heimat« überschreibt die Malerin den Katalog der Arbeiten zwischen 1999 und 2006 und fasst damit Widersprüchliches, bringt Flüchtiges und Beständiges zusammen. Der Titel zielt auf die Entstehungsorte der Bilder von Sabine Beyerle: Orte des Reisens und des Übergangs wie Küchen, Fähren, Kantinen, Strände in Afrika, Häuser in der Karibik, Wohnmobile im Irgendwo – »Das Paradies ist überall«.

»Temporäre Heimat« umreißt zugleich den Entstehungsprozess der Bilder, durch den die verfließende Zeit in die Bilder geborgen wird. Der Titel beschreibt den Gehalt der Bilder, in denen Zeit Raum erhält.

Für »Morgens« (1999) und »Chinoise1« (2000) hat Sabine Beyerle während einer Mahlzeit den Tisch in regelmäßigen Abständen direkt von oben fotografiert. Die so entstandenen Fotos wurden mittels Projektion in ihrer zeitlichen Folge zur Bildvorlage – Schicht um Schicht konnte sich so der Prozess des Frühstücks bzw. des asiatischen Mittagessens, abgebildet im Hin und Her der Teller und Teetassen, der Marmeladengläser, Suppen-schüsseln und des übrigen Geschirrs durch Überlagerung verdichten.

Konzeptionell hielt sich Sabine Beyerle im Malprozess an die fotografischen Vorlagen, fügte nichts hinzu, ließ nichts weg. Dennoch sind Zuordnungen in den Bereich des Verismus oder des Hyperrealismus fehl am Platz. Auch der Vergleich mit filmischer Mehrfachbelichtung, ihrer Vervielfältigung von Sekundenbruchteilenoder dem Zeitraffer trifft nicht, obwohl Beyerles Malerei mit beiden die Komprimierung von Zeit in gewisser Weise gemeinsam hat. Wesentlich ist die Entscheidung der Künstlerin, durch lasierende Malweise Gegenstände in Zeitschichten zu bannen im Über- und Nebeneinander von opaker Bestimmtheit und fast kompletter Reduktion.

So versinnlicht sich das Geschiebe auf dem Esstisch zu einem Tanz. Zusammen mit der Entscheidung zu einer ganz bestimmten Farbigkeit macht dies die spezifische Zeit-Atmosphäre der Bilder aus.

Im Folgenden verändert Sabine Beyerle den Blickwinkel auf den Tisch – »Bei Alex« (2000) – und wendet sich dann den umgebenden Räumen zu. Was machen Menschen aus Räumen? Wieder arbeitet Beyerle nach mehreren fotografischen Vorlagen. Wieder erhalten Dinge Eigenleben. Es entsteht Bewegung, die sich aus den Bildern des hin und her schweifenden Blicks zusammensetzt – »Gomera Ferry« (2002), »Badezimmer« (2002), »Das Paradies ist überall« (2004). Unterschiedliche Blickwinkel, die als Nachbild haftenden Eindrücke eines Blicks aus dem Fenster, die dominanten Gegenstände des Nebenzimmers oder die Pflanzen des gerade begangenen Weges: Alles kann sich übereinander schieben. So wuchert Rasen im Zimmer der »Modersohnstraße« (2005) und lösen sich Treppen, Geweihleuchter, Schränke von den Halt gebenden Wänden in »Sauen3« (2004).

Sabine Beyerles Räume sind dynamische Räume. Es sind Räume der Erinnerung, für die sie die Zeitebenen ihrer eigenen Bewegung im Raum überlagert und dem Raum selbst zuordnet. Mobilität wird verschoben vom handelnden Subjekt auf das umgebende, ursprünglich in festen Koordinaten existierende Objekt. Beyerle gibt diesen neu gefundenen Zeit-Räumen durch die jederzeit spürbare »dokumentarische« Grundlage der Bilder eine irritierende Realität.

Die konzeptuelle Vorgehensweise von Sabine Beyerle wird nahezu notwendig begleitet von einem malerischen Reisetagebuch. Auf dem planlosen Gang durch Städte und Dörfer der Karibik, in Afrika oder Südfrankreich wird das Auge der Malerin gefesselt von der Zufälligkeit eines Lichtes, einem bewegten Schatten, dem spezifischen Grau von Beton oder jenem Flattern der Wäsche. Im Foto festgehalten, entstehen aus diesen Momenten der Malerei die kleinen Arbeiten, die geprägt sind von einem spontanen, schnellen Pinselstrich und die zugleich die kalkulierte Flüchtigkeit ihres Motivs erkennen lassen – »Marseille« (2006). Aus den gesammelten Eindrücken, Räumen und Farben, aus den Augenblicken entwickeln sich die komplex aufgebauten großen Bilder.

Sabine Beyerle führt Zufall und Planung in ihrem Konzept zusammen als die beiden Komponenten, die im Titel »temporäre Heimat« mitschwingen. Der Zufall der Bewegungen am Esstisch steht dem planvollen Einhalten der Zeitchoreographie in der malerischen Umsetzung gegenüber. Der zufällige Blickwechsel im Raum, der mit der Kamera festgehalten wird, hat sein Gegenüber in der konzeptuellen Verschränkung von Blick- und Zeitebenen. Als sie die Vegetation in die Raumbilder eindringen lässt, verstärkt Beyerle das Unkontrollierte. Daraus entwickelt sie die gezielte Schüttung der Farbe als Eingriff in die konzeptuelle Planung und führt damit den Zufall auf der Metaebene des Konzepts in ihre Komposition ein – »Sauen3« (2004) und »Independence Hotel Mali« (2006).

Schon im »Badezimmer« (2002) ist die Raum-Zeit-Verschiebung insbesondere an der Struktur der Kacheln sichtbar. Gerade grafische Elemente wie Reihungen, Zäune oder Fußbodenmuster bilden auch in den späteren Bildern – »Ilsemarthas Wohnzimmer« (2005), »Friendship Hotel Cotonou« (2006) und »Independence Hotel Mali« (2006) – einen Gegenpol zu freierem Pflanzenwuchs und gestischer Farb-Schüttung.

An diesen mehr oder weniger geschlossenen Räumen zeigt Sabine Beyerle den Zugriff des Menschen auf die Räume als Spuren seiner Bewegung und Erinnerung. Am Strand in Marokko sieht die Malerin andere Räume, sozusagen zum Innenraum verwandelten Außenraum mit rotem Teppichboden am hellen Sand, taghell erleuchtetem Nachtleben wie bei »Hullygully« (2006) oder »El Jadida3« (2006). Hier sind es die Personen und Gegenstände, die den vorgefundenen Raum erst als Raum definieren. Gleichwohl bleibt Sabine Beyerle ihrem Prinzip des eingesetzten Zufalls, des Aufbrechens einer glatten Oberfläche sowie der Zeitimmanenz in der Flüchtigkeit, des Ineinanderschiebens der Bilder treu. Dabei bindet sie die »gestische Schüttung«, also den Zufall auf der konzeptionellen Metaebene, zurück an ein technisches Prinzip, indem sie Farbe und vor allem Farbstruktur digital verändert und die Oberflächen bis zur Grenze des Möglichen in Pixel auflöst. Wie bei der Überlagerung von fotografischen Vorlagen wird gerade in der Spannung zwischen deutlich sichtbarer Technik und Malerei, zwischen digitaler Bildbearbeitung und gestischem Pinselstrich ein Rahmen für magische und hier freiere Räume gespannt.

Dieser Rahmen von Dokumentation und Erfindung wird unterschiedlich durchmessen mit dem Interesse für grafisch klar strukturierte Elemente und technischer Sichtbarkeit einerseits, für Licht, Farbe und Rhythmus andererseits. Von der unkontrollierten Bewegung der Gegenstände zur Bewegung im Raum, der Bewegung der Erinnerung zum herbeigeführten Zufall durch Schüttung und technische Zufälligkeit der Pixelung schlägt Sabine Beyerle einen Bogen in der Auseinandersetzung mit der Realität, dem Widerspruch von Veränderung und Konstanz, von Zeit und Raum. In einem Medium, das die dritte Dimension abbildend und die vierte auf sehr komplexe Weise in sich bergen kann, entstehen so eigenartig reale Bilder, die erst auf den zweiten Blick irreal werden, die erinnern, die in Bewegung setzen, die »Zeit-Räume« oder, wenn man so will: »Zeit-Landschaften« sind.